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Wir werden in Zukunft länger arbeiten – aber was und wie?

Das neue Bild vom Alter ist der Schlüssel zu den Fähigkeiten, Erfahrungen und dem Wissen, das nur ältere Menschen haben.

Gesellschaft und Politik haben ein falsches Bild vom Alter. Leider auch die Älteren selbst, weil sie in der Regel kein Selbstwertgefühl haben und ihre besonderen Fähigkeiten nicht kennen. Sie starren auf all das, was Junge so gut können, und stellen fest, dass sie das nie so gut oder so schnell beherrschen. Aber dass bei ihnen durch ihr Älterwerden etwas gewachsen ist, was früher nicht da war, das wissen sie nicht.

Die Tendenz ist eindeutig, alle Länder der EU sind mit dem Thema Alter beschäftigt. Wenn auch das eine oder andere Land schneller handelt, so ist doch eines klar: Aufgrund der demografischen Entwicklung – alle 24Stunden wächst unsere Lebenserwartung um fast sechs Stunden – werden wir in Zukunft alle länger arbeiten.

Aber welche Arbeitsplätze sollen das sein, wenn Jüngere nach wie vor von Arbeitslosigkeit betroffen sind? Und was genau sollen denn die Älteren arbeiten?

Zum ersten Einwand ist zu sagen, dass Arbeit nicht ein Stück oder ein Meter von etwas ist, das einfach 1:1 übergeben werden kann. Junge können etwas, was Ältere nicht können, aber Ältere haben Wissen und Erfahrungen, die Jungen fehlen. Bald werden Unternehmen wegen des Mangels an Fachkräften Aufträge nicht mehr annehmen können, weil ihnen qualifizierte Mitarbeiter fehlen.

Mangelndes Selbstbewusstsein

Der zweite Einwand, dass niemand weiß, was Ältere tun sollen, wenn sie länger arbeiten, ist tief in uns verwurzelt, vor allem und hauptsächlich in der Köpfen der Betroffenen. Fragt man einen Älteren, ob er heute etwas kann, was er früher nicht konnte, dann wird man kaum eine positive Antwort erhalten.

Das Selbstbewusstsein der älteren Menschen ist in Bezug auf ihre Talente und Fähigkeiten sehr schwach ausgebildet. Es gilt die Annahme, dass mit dem Älterwerden alles immer weniger wird.

Dies stimmt im direkten Vergleich mit den spezifischen Fähigkeiten der Jugend, auf die Ältere immer wieder schielen. Nicht aber, wenn man die spezifischen Fähigkeiten Älterer gegenüberstellt. Diesem Thema ging die Online-Umfrage „Was wird mit dem Älterwerden mehr?“ der Plattform Seniors4success 2010 nach. Bei der Analyse der 1635 Antworten kristallisierten sich Fähigkeiten heraus, die weder den Betroffenen selbst noch ihren Arbeitgebern in diesem Ausmaß bewusst sind.

Der Blick geht noch zurück

Wer heute Sozialminister Hundstorfer zuhört, erfährt in jedem seiner Vorträge und öffentlichen Auftritte, dass wir alle länger arbeiten sollen und werden, weil sonst die Verschuldung in der Zukunft für die heutige Jugend untragbar wird. Als Minister hätte er es am leichtesten, diese Zielvorstellung durch geeignete, zukunftsorientierte Entscheidungen gravierend zu beeinflussen.

Aber leider ist der Blick noch immer rückwärtsgewandt, nämlich in die Aufrechterhaltung aller Vergünstigungen und aller Verführungen zur Frühpensionierung, anstatt vorwärtsgerichtet die Weichen für die Zukunft zu stellen.

Braucht es zur Überzeugung der Gesellschaft, der Politiker und der älteren Menschen noch Beweise? Wenn ja, sind sie rasch formuliert.

Erstens: Die Effekte des demografischen Wandels intensivieren sich von Jahr zu Jahr. Der häufig diskutierte Fachkräftemangel ist nicht nur schon längst da, sondern ein Problem mit drängender Brisanz. Die aktuelle Allianz-Demographic-Pulse-Studie zeigt, dass der Arbeitsmarkt auf EU-Ebene bereits gekippt ist, d.h. zu viele gehen, und zu wenige folgen nach.

Zweitens: Österreich erlebt im Bereich der hoch qualifizierten Arbeitskräfte einen sogenannten „brain drain“ (Abwanderung der besten Köpfe), der diese Menschen aufgrund besserer Arbeits- und Forschungsmöglichkeiten ins Ausland zieht.

Drittens: Wenn sowohl der Nachwuchs als auch die Fachkräfte immer knapper werden, muss eine Lösung gefunden werden, bevor der Wirtschaftsstandort Österreich Schaden nimmt. Der Schlüssel dazu liegt bei den Unternehmen selbst: Sie behalten ihre bereits bewährten Arbeitskräften länger. Warum weiterhin das eigene bewährte und qualifizierte Personal mit 58Jahren in die Pension verabschieden, wo es doch gerade an solchen Fachkräften mangelt?

Viertens: Die Studie von Seniors4success hat gezeigt, dass der defizitorientierte Blick auf die älteren Arbeitnehmer ein vollkommen falscher ist – und dass vielmehr der potenzialorientierte angebracht ist. Eindeutig dominiert dabei die Erkenntnis, aus der Wahrnehmung der Endlichkeit zu wissen, worauf es im Leben wirklich ankommt („Sinn des Lebens“).

Warum auf Mehrwert verzichten?

Es folgen in der Reihung „Erfahrung“, „Weisheit“, „Gesundheitsbewusstsein“, „Unabhängigkeit“, „Für andere da sein“ und „Zeitbudget“ (selbstbestimmt) usw. Diese Eigenschaften kann jedes Unternehmen gebrauchen, dazu kommt die bereits vorhandene fachliche Qualifikation. Warum auf diesen Mehrwert verzichten?

Fünftens: Für die Leistungsfähigkeit der älteren Generation liefern die Vorstände und Geschäftsführer der großen österreichischen Unternehmen den besten Beweis. Was wären diese Unternehmen ohne das langjährig erworbene Know-How dieser Manager?

Das Bild vom Alter, wie wir es von unseren Großeltern übernommen haben, entspricht nicht mehr der Realität. Das überfällige neue Bild wird aber von den Betroffenen selbst, von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch immer nicht angenommen. Wir stehen vor einem „change of mind“, der in den Köpfen erst entstehen muss – in unseren Köpfen.

Quelle: "Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2011

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