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Wenn Armut krank macht

Volkshilfe alarmiert: Armut als Symptom und Ursache für Krankheiten - Einkommen beeinflusst auch Lebenserwartung

Wer sich länger bildet, lebt auch länger - Das ergibt eine aktuelle Studie der Volkshilfe, die sich mit den Zusammenhängen zwischen Armut und Krankheit beschäftigt. Einkommensschwache Personen seien demnach stärker und öfter von gesundheitlichen Problemen betroffen, als wohlhabendere Menschen: Zu den Belastungen zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und chronische Krankheiten.

Der Bericht hält fest:12 Prozent der Österreicher sind armutsgefährdet, etwa 492.000 Menschen sind von Armut betroffen. Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger sieht in den aktuellen Zahlen ein Alarmzeichen. "Unsere Untersuchung zeigt, dass einkommensschwache Personen gesundheitlich stärker belastet sind und auch eine geringere Lebenserwartung haben", sagt Fenninger während einer Pressekonferenz am Montag.

Kein Ende der Krise

Chronische Krankheiten, psychische Probleme oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen würden nach Angaben der Volkshilfe bei einkommensschwachen Personen häufiger auftreten. Auch das Schmerzempfinden sei davon beeinflusst. Unabhängig von Geschlecht und Alter konnte bei Untersuchungen herausgefunden werden, dass einkommensschwächere Personen ihren allgemeinen Gesundheitszustand schlechter einschätzen und eher nach Suchtmitteln greifen, als Personen in höheren Einkommensklassen.

In einem der reichsten Länder der Welt nimmt die Anzahl der von Armut betroffenen und bedrohten Menschen zu, heißt es weiter im Bericht. Siegfried Meryn, Facharzt für Innere Medizien und Gründer der Initiative "Nein zu Arm und Krank", zeigt sich angesichts dieser Ergebnisse erschüttert: "Hinter den Zahlen und Fakten stehen Schicksale", sagt Meryn. Es sei wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

"Die Wirtschaftskrise ist erst dann vorbei, wenn wir es bei diesen Menschen sehen", sagt der Mediziner. Besonders die Situation vieler Kinder sei dramatisch. "260.000 Kinder starten chancenlos in ihr Leben", sagt Meryn.

Höher Gebildete leben länger

Der soziale Status, also die höchste abgeschlossene Schulbildung, wirken sich auch auf die Lebenserwartung aus. Der Unterschied zwischen Männern der höchsten Bildungsstufe und jenen der niedrigsten Stufe beträgt nach Angaben der Volkshilfe knapp über sechs Jahre. Eine gut gebildete Frau lebt drei Jahre länger, als eine schlecht gebildete. Eine 35-jährige Frau mit Hochschulabschluss hat sogar eine neun Jahren längere Lebenserwartung, als ein gleichaltriger Mann, der die Pflichtschule absolviert hat.

Neben Bildung und Einkommen beeinflussen auch Faktoren wie etwa Stress, soziale Ausgrenzung, Erlebnisse mit Missbrauch und der Zugang zu medizinischer Versorgung die Gesundheit der Menschen. Diese Ursachen treten meist in Kombination auf und verstärken sich gegenseitig. Am meisten sind Obdachlose, Arbeitslose und Menschen mit Migrationshintergrund von Ungleichheit betroffen, geht aus dem Bericht hervor.

Die Ursachen sieht die Volkshilfe in der sozialen Ungerechtigkeit. Ihre Forderung lautet deshalb, Bildungsdefizite, Arbeitslosigkeit sowie regionale, kulturelle, ethnische und auch geschlechtspezifische Benachteiligungen zu bekämpfen.

Lobby für Arme

"Gesundheitliche Ungleichheiten können nicht allein vom Gesundheitssystem ausgeglichen werden. Nachhaltige Verbesserung erfordert ein Miteinander aller Ressorts - eine sogenannte Health-in-All-Policies Strategie", ist Vokshilfe-Chef Fenninger überzeugt. Er fordert eine "Inklusionspolitik" für mehr Gleichheit in der Gesellschaft.

Best-Practice-Beispiele, wie etwa die Beratung in der Muttersprache und Sozialarbeiter in den Spitälern, aber auch die gesundheitliche Betreuung zuhause sollen weiter ausgebaut werden.

Gesundheitsminister Alois Stöger meint, er versuche  "Menschen erst gar nicht arm zu machen" und kämpfe für ein solidarisches Gesundheitssystem. Er hält die Einfürung der "E-Card für Alle" für eine wesentliche Verbesserung für armutsgefährdete Personen. "Alleine dadurch sind nun rund 20.000 Sozialhilfeempfänger mit ihren Angehörigen krankenversichert", sagt Stöger.

"Armut ist im politischen Diskurs nicht vorhanden", kritisiert allerdings der Mediziner Meryn. Es brauche mehr Druck auf die Politik von Seiten der Medien und der Bevölkerung - sozusagen eine "Lobby für Arme".

(Quelle: derstandard.at, 15.10.2010)

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