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Streit um Berufsunfähigkeits-Pension

5.4.2011 – Berufsunfähigkeitspension – ja oder nein? Diese Frage hatten die Gerichte im Falle einer Frau zu klären, die unter Depression mit einer Krankenstandsprognose von acht Wochen litt. Schluss der Richter: PVA ist leistungspflichtig.

Das faktische Pensionsantrittsalter liegt im Österreich-Schnitt unter 60 Jahren und damit klar unter dem gesetzlich vorgesehenen Alter. Der Hauptgrund dafür ist laut Sozialminister Rudolf Hundstorfer die hohe Zahl an Invaliditätspensionen: Von 100.000 Pensionsantritten jährlich entfallen 30.000 auf die Invaliditätspension. Und Schätzungen zufolge leiden in Österreich rund 800.000 Menschen an der „Volkskrankheit“ Depression.

Dementsprechend werden Fälle von Berufsunfähigkeit auch immer wieder Gegenstand gerichtlicher Verfahren. So etwa bei Veronika B.: Die 1950 geborene Frau arbeitete vor dem Stichtag (1.10.2004) als Postzustellerin. Für sie bestand für den Zeitraum ab Antragstellung (17.9.2004) bis Ende 2005 aufgrund einer wesentlich ausgeprägten psychischen Symptomatik, die auch mit diversen körperlichen Symptomen verbunden war, eine „deutlich erhöhte Krankenstandsprognose“ im Ausmaß von zumindest acht Wochen, dies mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Berufsunfähigkeitspension abgelehnt

B. wollte deshalb eine Berufsunfähigkeits-Pension von der Pensionsversicherungsanstalt, letztere sah sich aber nicht zur Leistung verpflichtet. Das Erstgericht stellte sich hingegen auf B.s Seite und sprach ihr eine vorläufige Leistung von monatlich 300 Euro zu.

Die PV ging in Berufung, blieb aber auch vor der zweiten Instanz erfolglos. Die Prüfung der Invalidität und damit auch die Krankenstandsprognose sei daher – entgegen dem Standpunkt der beklagten Partei – ausgehend vom Stichtag vorzunehmen.

Da das Gesetz die Invalidität als Zustand definiere, der voraussichtlich sechs Monate andauern werde, und der Ausschluss vom Arbeitsmarkt ein bestimmtes Ausmaß von jährlich zu erwartenden Krankenständen voraussetze, sei auf diesen Prognosezeitraum abzustellen. Dem Umstand, dass sich der Zustand und damit die Krankenstandshäufigkeit ändern könnten, trage § 256 Abs 1 ASVG (§ 273 Abs 3 ASVG) mit der grundsätzlichen Pensionsbefristung Rechnung.

Die Einbeziehung der ab Jänner 2006 gebesserten Prognose – es war nur noch mit jährlichen leidensbedingten Krankenständen von vier Wochen regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen – durch die PV beruhe auf einer unzulässigen Ex-post-Betrachtung unter Verwertung der dafür ursächlichen späteren Besserung des Gesundheitszustands.

PV: Prognosezeitraum zu kurz

Schließlich gelangte der Fall zum Obersten Gerichtshof. Die PV meinte in der Revision, eine längerfristige (mehrjährige) Betrachtungsweise sei erforderlich, um dem für die Krankenstandsprognose erforderlichen Element der „Regelmäßigkeit“ zu entsprechen.

Weder der im Gesetz genannte Zeitraum von sechs Monaten noch der dem Verfahren zugrunde liegende (1.10.2004 bis 31.12.2005) seien geeignet, die Kriterien einer erforderlichen „Langzeitbetrachtung“ zu erfüllen.

Somit sei einerseits angesichts des kurzen Prognosezeitraums die Regelmäßigkeit nicht erfüllt, andererseits werde – bei einer über einen größeren Zeitraum hinausgehenden „Längsschnittbetrachtung“ – die Grenze der mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßig eintretenden leidensbedingten Krankenstände von sieben Wochen und mehr nicht erreicht.

Was der OGH sagt

Der OGH hielt in seinem Urteil 10 ObS 66 / 09t unter anderem fest, dass ein Versicherter vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, wenn in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung leidensbedingte Krankenstände mit einer Dauer von sieben Wochen und darüber im Jahr zu erwarten sind.

Es könne nämlich nicht damit gerechnet werden, dass krankheitsbedingte Abwesenheiten in einem solchen Ausmaß von den in Betracht kommenden Arbeitgebern akzeptiert werden. Der Betroffene würde diesfalls nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers auf Dauer beschäftigt werden.

„Ex ante betrachtet bestand bei der Klägerin im vorliegenden Fall ab der Antragstellung (Stichtag: 1.10.2004) mit hoher Wahrscheinlichkeit ‚eine deutlich erhöhte Krankenstandsprognose im Ausmaß von zumindest acht Wochen‘“, hielt der OGH weiter fest. „Es ist also davon auszugehen, dass mit leidensbedingten jährlichen Krankenständen von mehr als sieben Wochen zu rechnen war. Allein auf dieser Grundlage ist das Bestehen von Invalidität (Berufsunfähigkeit) im Sinn der ständigen Rechtsprechung zu bejahen [...].“

Nachweis durch die PV „nicht erbracht“

Zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Frau ab 2006 führte der OGH aus: „Nach den ausdrücklichen Feststellungen wäre es [zwar auch] unter entsprechender antidepressiver medikamentöser Behandlung wahrscheinlich zu einer Besserung der depressiven Verstimmung der Klägerin gekommen, wobei diese Verbesserung ca. sechs Monate nach Therapiebeginn zu erwarten gewesen wäre.“

Und weiter: „Dazu steht aber auch fest, dass ‚die Krankenstandsprognose für das Jahr 2005‘ (nur) dann wahrscheinlich auf unter sieben Wochen zu reduzieren gewesen wäre, wenn der Klägerin jemand gesagt hätte, dass es Behandlungsmöglichkeiten bezüglich der Depression gibt und ihr jemand eine Behandlung hätte zukommen lassen; von selbst konnte die Klägerin dies nämlich nicht erkennen.“

Damit sei der von der Pensionsversicherungsanstalt zu erbringende Nachweis, dass die Invalidität mittels zumutbarer Behandlung beseitigbar war, für den Zeitraum, für den ein Pensionszuspruch erfolgte, nicht erbracht.

In einem ähnlich gelagerten Fall (OGH 10 ObS 24 / 09s) hatten die Gerichte kurz zuvor den Antrag eines Hilfsarbeiters auf Invaliditätspension, der von der PV abgelehnt worden war, befürwortet.

Quelle: versicherungsjournal.at, 5.4.2011

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