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Pflege-Vorsorge geht auf Krücken

Pflege ist teuer, die Finanzierung der staatlichen Vorsorge nicht nachhaltig gesichert

"Derzeit passieren gut 80 Prozent der Pflege im Familienkreis. Die einzige Versicherung, die tatsächlich hilft, ist: Man braucht Kinder. Und da wird's problematisch." So fasst Wolfgang Mazal, Professor für Sozial- und Arbeitsrecht, die Baustelle Pflege in Österreich zusammen. Vor allem auf die zukünftigen Generationen kommt da ein großer Brocken zu.

Das ist mittlerweile auch Herrn und Frau Österreicher klar geworden. Nimmt man die Generali-Zukunftsstudie 2010 zur Hand finden sich ex aequo an Nummer eins der Existenzängste der Österreicher nämlich schwere Krankheit, Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Kürzung von Sozialleistungen. Bei jedem einzelnen Punkt schätzten je 54 Prozent der insgesamt 1.372 Befragten diese Risiken als Existenz bedrohend ein. Auf Platz vier und fünf des Rankings befinden sich befürchtete Kürzungen von staatlichen Gesundheitsleistungen und der staatlichen Pension.

Die Finanzierung der staatlichen Pflegevorsorge ist jedenfalls nicht nachhaltig gesichert. Mit dem Geburtenrückgang der letzten Jahre kommt "eine irre Diskrepanz zwischen der älteren, potenziell pflegebedürftigen Generation und jenen die die Pflege übernehmen können auf", sagt Mazal im Gespräch mit derStandard.at. Nur einen Teil davon könne man durch Zuwanderung abfangen. Pflege sei außerdem typischerweise unbezahlte Frauenarbeit. Für Mazal muss man hier auch darüber nachdenken, wie diese Arbeit bezahlt werden kann, auch wenn sie im Familienkreis erbracht wird. Aus der Politik heißt es, dafür gebe es zu wenig Geld. Mazal sieht einen Ausweg in der "Umschichtung von Steuern, mittelfristig auch über zum Beispiel vermögensbezogene Steuern". 

Staat und Privat

Derzeit kommen die Gelder für die staatliche Pflege vom Bund, den Ländern und zu einem geringen Teil über die Sozialversicherungen. Daneben gibt es auch die Möglichkeit, auf privater Basis für den etwaigen Pflegebedarf vorzusorgen.

In Österreich liegen bei den elf Anbietern von privaten Pflegeversicherungen etwa 55.000 Versicherungsverträge über die Schienen Lebens- oder Krankenversicherung auf, pro Jahr werden etwa 6.000 derartiger Versicherungen abgeschlossen, erklärt Daniela Ebeert, Pressesprecherin des Versicherungsverbandes Österreich (VVO). Das Prämienaufkommen beläuft sich auf etwa vier bis fünf Millionen Euro, was "bei einem Gesamtprämienaufkommen in der Lebensversicherung von etwa 7,5 Milliarden nicht viel" sei, so Ebeert weiter.

Ebeert glaubt, dieser Umstand liege in erster Linie daran, dass die Kosten für die Pflege unterschätzt werden. Pflegeheime kosten mehrere tausend Euro im Monat, dafür reichten die eigenen finanziellen Rücklagen meist nicht aus. Relevant seien auch die "sehr unterschiedlichen Länderregelungen der Pflege, die eine weitere Verbreitung der privaten Pflegevorsorge nicht gerade fördern", meint Ebert. Eine bundesweit einheitliche Regelung wäre transparenter. Dem stimmt Mazal nur bedingt zu: " Die Länderregelungen gehen stark auf regionale Gegebenheiten und Besonderheiten ein. In Vorarlberg, beispielsweise gibt es eine Art Vereinssystem, wo man sich ein 'Zeitkonto' für den Fall des Pflegefalles erarbeiten kann. Pflegesysteme funktionieren im Wiener Gemeindebau anders als im dörflichen Umfeld in Tirol. Wir sollten dieses vielfältige System nutzen."

Geldnot

Die Bedarfsfeststellung müsse aber auf jeden Fall vereinheitlicht werden. Derzeit würden 280 Stellen, Bescheide in Pflegefällen herausgeben, die Umsetzung der Einstufungskriterien für das Pflegegeld nicht einheitlich erfolgen. Auf diese Bedarfsfeststellung basieren schließlich auch die privaten Pflege-Versicherungsleistungen. Grundsätzlich heißt es laut Ebeert auch bei der privaten Pflegevorsorge - ähnlich wie bei Lebens- oder Krankenversicherungen -, je früher desto besser.

Für Mazal bleibt die private Vorsorge eine private Entscheidung für eine Zusatzabsicherung. An einer Neuorganisation der staatlichen Pflege führe aber kein Weg vorbei. Der Idee einer eigenen Sozialversicherung für die Pflege kann Mazal allerdings nichts abgewinnen: "Davon würde ich abraten, wenn nur die Aktiven die Lasten der Pflege durch Beiträge aus ihrem Erwerbseinkommen finanzieren und damit die Jobs gefährdet werden."

Laut Studien von Wifo und IHS brauche Österreich für die Pflege im Worst-Case 1,5 bis fünf Milliarden Euro bis 2035. Mazal ist aber davon überzeugt, dass die reine Fokussierung auf das Geld in die falsche Richtung geht: " Mein Ansatz wäre, erst zu schauen, wie wir das Ganze in Zukunft organisieren wollen. Und dann schauen wir, wie viel das kostet. Die Politik ist viel zu sehr auf das Geld fixiert und denkt zu wenig darüber nach, wie wir das System besser organisieren können."

(Quelle: derstandard.at, 29.09.2010)

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