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Pensionen: Systeme vor dem Kollaps

Die Ratingagentur Standard & Poor's stellt mehreren Staaten die Rute ins Fenster. Die Überalterung gefährdet die Finanzen, Reformen sind nötig. Auch Österreich ist betroffen.

New York. Es ist kein schönes Bild, das Standard & Poor's einem Gutteil der europäischen Staaten zeichnet: „Die Pensionskosten werden in vielen Ländern unterschätzt“, sagt Marko Mrsnik, der bei der US-Ratingagentur für die Einstufung der EU-Länder zuständig ist. „Kein anderer Faktor ist so entscheidend für die Zukunft der Staatsfinanzen wie die Alterung der Bevölkerung“, warnt er.

Unter dem Titel „Globale Alterung 2010“ hat die Ratingagentur eine Studie erstellt, in der die Pensionssysteme in 49 Ländern untersucht wurden. Die „Presse“ sprach mit Mrsnik am Rande der Präsentation des Papiers in New York. Seine Quintessenz: 15 EU-Staaten steuern bis 2050 auf eine theoretische Staatsverschuldung von über 300 Prozent der Wirtschaftsleistung zu – wenn sie nicht schleunigst eine Reform des Pensionssystems in Angriff nehmen.

Die Schuldenlast vom dreifachen Wert der Jahresproduktion ist ein hypothetischer Wert. Der Staatsbankrott wäre für die meisten Staaten bereits deutlich früher unvermeidbar. Dessen ist sich auch Mrsnik bewusst. Er droht den betroffenen Ländern zwar nicht unmittelbar mit Konsequenzen, spricht aber von einer Frist von fünf Jahren. „Danach sind Abstufungen wegen nicht finanzierbarer Pensionssysteme absolut möglich“, stellt der Experte den EU-Staaten die Rute ins Fenster.

Wachstum reicht nicht

Am schlimmsten ist der Ausblick für Griechenland, Spanien und die Niederlande. Sie würden die 300-Prozent-Marke bereits 2040 überschreiten. „Um das zu verhindern, ist der politische Wille entscheidend“, sagt Mrsnik. „Griechenland hat zwar Reformen in Angriff genommen, wir bezweifeln aber, dass das langfristig reicht.“ Den Ausblick für Europas Sorgenkind bezeichnet Standard & Poor's deshalb weiter als „negativ“. Das Hilfspaket der EU-Mitglieder läuft 2012 aus. „Was dann passiert, werden wir erst sehen“, warnt Mrsnik.

Unter den 15 Staaten, deren Pensionssystem von der Ratingagentur als Bedrohung gesehen wird, ist auch Österreich zu finden. Die Alpenrepublik steuert bis 2030 auf eine Staatsschuld von 136 Prozent der Wirtschaftsleistung zu, für 2050 errechnete Standard & Poor's einen hypothetischen Wert von 328,7 Prozent.

Dieser Entwicklung wurde ein jährliches Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 1,6 Prozent zugrunde gelegt. Doch selbst, wenn die Konjunktur schneller wachsen sollte: Das österreichische Pensionssystem in seiner derzeitigen Form sei nicht überlebensfähig. „Wir gehen davon aus, dass betroffene Staaten ihren Kurs anpassen werden“, sagt Mrsnik.

Spezifische Empfehlungen für einzelne Länder sind in der 50-seitigen Studie nicht zu finden. Allerdings lobt Mrsnik Portugal und Frankreich für deren Reformwillen. „Es bleibt zu hoffen, dass die nötigen Schritte realisiert werden“, deutet der Experte vor allem die Probleme in Frankreich an. Präsident Nicolas Sarkozy will das Pensionsantrittsalter von 60 auf 62 Jahre anheben. Die Gewerkschaften rufen seit Wochen zu Streiks auf. Seit Anfang September ziehen tausende Demonstranten regelmäßig durch die Straßen.

Zuwanderung als Lösung?

Bleibt die Frage, wie der Kollaps in Ländern wie Österreich vermieden werden kann. Als Musterbeispiel nennt Standard & Poor's Kanada. Die Nordamerikaner würden gezielt Zuwanderung fördern, um die Nachteile der Überalterung abzufedern. Deshalb seien Kanadas Pensionen gesichert, die Staatsschuld bleibe auch in 30 Jahren noch bei unter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. „Die anderen Lösungen sind schnell genannt: ein höheres Pensionsantrittsalter, deutlich höhere Steuern oder eine niedrigere Rente“, erklärt Mrsnik.

(Quelle: DIE PRESSE, Print-Ausgabe, 9.10.2010)

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