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Pensionen: "Das ist Generations-Kannibalismus"

Warum Österreichs Regierung nur noch drei Jahre Zeit hat, die Staatsfinanzen nachhaltig zu sanieren, erklärt Peter Brezinschek, Chefökonom der Raiffeisen Bank International.

Die Presse: Laut den aktuellen Frühindikatoren befinden wir uns am Beginn einer sehr guten Konjunktur. In Deutschland notiert der Ifo-Index, ein wichtiges Konjunkturbarometer, auf Höchstständen. Trügt der Schein?

Peter Brezinschek: Wir sehen derzeit ein relativ starkes Wirtschaftswachstum, das in den kommenden drei bis vier Quartalen abgeschwächt anhalten wird. Aber: Laut Ifo-Index müsste das reale Wirtschaftswachstum in Deutschland bei 4,5 Prozent liegen, wir rechnen für 2011 nur mit 2,5 Prozent.

Die westlichen Industriestaaten haben auch einen riesigen Schuldenberg angehäuft. Wird das nicht bald zur großen Konjunkturbremse?

Das hat man schon in den USA gesehen. Das BIP lag im ersten Quartal zwar bei 1,8 Prozent, der öffentliche Konsum ging aber um fünf Prozent zurück. Deswegen, weil die US-Regierung die Staatsschulden zurückfahren muss und daher öffentlich Beschäftigte abbaute. Die Menschen müssen sparen und konsumieren weniger.

Heißt das, der Staat soll sich möglichst viele Beamten leisten, damit diese dann den Konsum antreiben können?

Nein. All jene Länder, die ihre Staatsschulden über die Ausgabenseite nachhaltig sanieren, erleiden kurzfristig einen Dämpfer. Laut Studien haben sie aber längerfristig ein höheres Wachstum gegenüber Ländern, die mit einem hohen Staatsanteil „weiterwursteln“.

Die US-Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart haben eine viel beachtete Studie herausgebracht. Ab einer Staatsverschuldung von 90 Prozent des BIPs leidet die Wirtschaft eines Industriestaates. Österreich ist nicht mehr weit entfernt davon, wenn man die ausgelagerten Schulden von ÖBB, Asfinag etc. beachtet.

Österreich hat eine Staatsverschuldung von derzeit rund 72 Prozent. Es gibt zusätzlich ausgelagerte Schulden, das stimmt. Trotzdem steht das Land im internationalen Vergleich gut da, sogar besser als Deutschland. Die Lage ist dennoch kritisch. Österreich hat jetzt zwei, drei Jahre Zeit, das strukturelle Defizit abzubauen. Das betrifft die großen Brocken wie Pensionen, Verwaltung und Gesundheitswesen. Es kann nicht sein, dass im neuen Stabilitätsprogramm der Regierung der Zuschuss für Pensionen, Soziales und Gesundheit drei Mrd. Euro mehr betragen wird als in den vorherigen Programmen vorgesehen war.

Und Sie glauben, dass sich daran etwas ändert?

Daran muss sich etwas ändern. Ich verstehe ja überhaupt nicht, warum man eigentlich mit Steuergeldern ein defizitäres Pensionssystem subventioniert. Das müssen jetzt die Jungen zahlen – mit der Gewissheit, dass sie später einmal viel weniger Leistungen bekommen. Dieses System aufrechtzuerhalten ist „Generations-Kannibalismus“.

Was schlagen Sie vor?

Arbeitsfähige dürfen einfach nicht aus dem Arbeitsprozess genommen werden, so wie das jetzt passiert. Frühpensionierungen ohne große Abschläge (Invaliditätspension, Anm.) müssen massiv eingeschränkt werden. Wenn jemand mit 55 Jahren in Pension gehen will, dann nur mit höheren Abschlägen als jetzt. Und er darf bis zum Regelpensionsalter (bei Männern 65, bei Frauen 60 Jahre) keine Pensionserhöhungen bekommen. Eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalter, das derzeit bei nur 58Jahren liegt, würde 1,2 Mrd. Euro jährlich bringen.

Sie sagen, dass der Staat maximal drei Jahre Zeit hat, das Budget nachhaltig zu sanieren. Warum gerade drei Jahre?

Weil wir so lange eine gute Konjunktur sehen werden. Danach könnte eine Krise wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Österreich hatte in den vergangenen Jahren außerdem großes Glück, dass die Zinsen niedrig waren. Für langfristige Finanzierungen musste der Staat etwa nur drei Prozent bezahlen, wie man an der Rendite von zehnjährigen Staatsanleihen sieht. Die Zinsverpflichtung nahm relativ zum BIP sogar ab. Das wird sich mittelfristig ändern. Man muss die Situation jetzt noch nutzen, die Finanzen zu sanieren – zu 75Prozent ausgaben- und zu 25Prozent einnahmenseitig.

Diese Regierung macht nicht den Eindruck, eine Verwaltungsreform durchziehen zu wollen. Außerdem sind in zwei Jahren wieder Wahlen. 2008 wurden vor dem Urnengang in nur einer Nationalratssitzung Wahlzuckerln im Wert von 2,5 Mrd. Euro verteilt.

Die Aussagen der Regierungsmitglieder waren zuletzt nicht ermutigend. Irgendwann muss die Regierung aber Mut zeigen. Der Rechnungshof gibt ständig gute Vorschläge für Reformen. Essenziell umgesetzt wurde davon bisher wenig. Das muss sich ändern.

Auf einen Blick

Peter Brezinschek ist der Chefökonom der Raiffeisen Bank International (RBI). Er ist auch Mitglied im Staatsschuldenausschuss, der die Regierung in Finanzfragen berät.Interview. Brezinschek gibt der heimischen Regierung noch maximal drei Jahre Zeit, das Budget zu sanieren. Danach könnte ein Konjunkturabschwung wieder einen Strich durch die Rechnung machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2011)

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