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Jähes Ende: Der Pensionsantritt als Teenager

Knapp 3200 unter 30-Jährige sind hierzulande in Frühpension. Meist nach einem Unfall oder einer Erkrankung. Die Pensionierung bringt zwar den Segen der finanziellen Absicherung, oft aber auch den Fluch der Endgültigkeit.

Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte das Thema zuletzt als Nebenaspekt eines tragischen Vorfalls. Im Jänner erschlug ein 26-Jähriger in Vorarlberg den dreijährigen Sohn seiner Freundin. Ein Fall, der österreichweit für Bestürzung und Wut sorgte. Letztere steigerte sich noch, nachdem bekannt wurde, dass der mutmaßliche Täter eine Frühpension bezog – wegen psychischer und physischer Probleme nach einem Autounfall. „Sofort abgeschafft“ müsse die Pensionierung junger Menschen werden, forderte in der Folge der Boulevard. Und Sozialminister Rudolf Hundstorfer musste – in die Defensive gedrängt – das Versicherungssystem verteidigen. „Das ist kein Massenphänomen“, so der Minister.

Womit er recht hat. Knapp 3200 Pensionisten sind hierzulande jünger als 30 Jahre (exklusive Witwen und Waisen). Das entspricht etwa 0,2 Prozent aller heimischen Pensionsbezieher. Und auch die Kosten dieser Pensionen sind mit rund 31 Millionen Euro pro Jahr überschaubar. Dennoch bleibt bei vielen die Frage offen, warum Menschen in der Blüte ihres Lebens bereits auf Zahlungen aus dem Pensionssystem angewiesen sind.

Einer dieser Menschen ist die 24-jährige Nicole Melichar. Sie erlitt im Mai 2004 als 17-Jährige während des Unterrichts in der Berufsschule eine Hirnblutung. „Plötzlich habe ich zu lallen begonnen, weshalb die Lehrer zuerst dachten, ich hätte etwas getrunken“, sagt Melichar. Sie wurde damals zwar akut im Krankenhaus behandelt, Lähmungen an Beinen und Armen und ein eingeschränktes Sprachvermögen sind aber geblieben.

Ein Jahr war sie im Krankenstand, dann empfahl ihr die Gebietskrankenkasse, sich an die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) zu wenden, und eine Invaliditätspension zu beantragen. Sie sei aus allen Wolken gefallen, erinnert sich Melichar. „Ich will einfach keine Pensionistin sein.“ Allerdings sei sie froh, dass sie so nun eine finanzielle Absicherung hat. „Wäre ich damals Schülerin gewesen, hätte ich nichts bekommen.“

Versicherungsmonate. Denn die Voraussetzung für eine Invaliditätspension ist auch bei Teenagern und Twens, dass sie genug Versicherungsmonate erworben haben. Allerdings müssen Arbeitnehmer unter 27 statt 60 nur sechs Monate vorweisen. Handelt es sich um einen Arbeitsunfall, fällt auch diese Voraussetzung weg. „Wenn die Arbeitsleistung um mehr als die Hälfte gesunken ist, kann eine Pension zuerkannt werden. Bei jungen Menschen ist das aber immer erstmal auf zwei Jahre befristet“, sagt Johannes Pundy von der PVA. Mithilfe von Rehabilitationsmaßnahmen und Umschulungen soll diesen nämlich eine Rückkehr in das Arbeitsleben ermöglicht werden.

Auf diese Rückkehr hofft auch Katrin Pronegg. Die 23-Jährige hatte im Alter von 19 Jahren im Schlaf einen Schlaganfall. „Ich bin aufgewacht und war halbseitig gelähmt“, so Pronegg. Dank vielfacher Rehabilitationsmaßnahmen sieht man ihr äußerlich inzwischen kaum mehr etwas davon an. Ihren ursprünglich erlernten Beruf als Kindergärtnerin wird sie dennoch nie ausüben können, da sie bei körperlicher Belastung immer noch überdurchschnittlich schnell ermüdet. Daher macht sie zur Zeit eine Ausbildung zur Psychotherapeutin. „Sobald ich damit fertig bin, hoffe ich, dass ich die Pensionierung beenden kann.“

Die Invaliditätspension hilft ihr, die Ausbildung zu finanzieren. Außerordentlich groß fallen die monatlichen Zahlungen aber nicht aus. Da Familienbeihilfe und Zuschüsse der Eltern abgezogen werden, sind es rund 370 Euro, so Pronegg. Wenn jemand hört, dass sie Pensionistin ist, sorgt das dennoch regelmäßig für „große Augen“. „Mitunter wird einem da auch das Gefühl gegeben, dass man ein Schmarotzer ist. Wobei man mir die Einschränkungen ja nicht ansieht.“

Dass man sich als junger Mensch eine Invaliditätspension „erschwindeln“ kann, glaubt sie nicht. „Die Kontrollen sind sehr genau. Im Gegensatz ist es sogar so, dass viele, die eigentlich einen Anspruch haben, sich lange nicht bei der PVA melden, weil sie keine Informationen haben.“

Dass streng kontrolliert werde, würde auch die Statistik zeigen, sagt Pundy von der PVA: „60 Prozent aller Anträge werden abgelehnt.“ Und auch Gerüchte, dass bei jungen Antragsstellern immer wieder Drogen der Grund seien, würden so nicht ganz stimmen. „Drogen sind ein Thema. Damit jemand eine Pension erhält, muss aber auch eine Folgeerkrankung hinzukommen.“

Für jene, die ganz ohne eigenes Verschulden in diese Situation gekommen sind, ist die Pensionierung in jungen Jahren Segen und Fluch zugleich. „Mir war schon in der Früh fad“, sagt Melichar. Daher besucht sie zur Zeit eine Tagesstätte zur Integration Behinderter. „Wenn ich könnte, würde ich aber viel lieber arbeiten gehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2011)

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