News

EuGH-Generalanwältin fordert Unisex-Polizzen

Eine EU-Richtlinie, nach der Frauen bei manchen Versicherungen höhere Prämien als Männer zahlen müssen, könnte kippen

Luxemburg/Wien - Eine EU-Richtlinie, nach der Frauen bei manchen Versicherungen höhere Prämien als Männer zahlen müssen, könnte kippen. Die EU-Generalanwältin Juliane Kokott plädierte in einem Gutachten für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vom Donnerstag dafür, diese Bestimmung wegen Diskriminierung von Frauen für ungültig zu erklären. Damit könnte die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen in vielen Polizzen gegen EU-Recht verstoßen. Die Versicherungswirtschaft in Österreich und Deutschland möchte aber weiterhin Prämien differenzieren dürfen.

Eine Richtlinie von 2007 verbietet die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Berechnung von Versicherungsprämien grundsätzlich. Eine Ausnahmebestimmung lässt aber Unterschiede bei Prämien und Leistungen zu, "sofern das Geschlecht ein bestimmender Risikofaktor ist" und dies durch genaue versicherungsmathematische und statistische Daten untermauert werden könne. Ein belgisches Gericht bat die höchsten EU-Richter um Prüfung der Ausnahmebestimmung, nachdem ein Verbraucherverband und Privatpersonen gegen die auf der EU-Ausnahmeklausel beruhenden Regelungen vorgegangen waren.

Die EuGH-Generalanwältin meinte, die Ausnahmeregelung betreffe keine eindeutigen biologischen Unterschiede zwischen den Versicherten. Vielmehr gehe es um Fälle, in denen sich unterschiedliche Versicherungsrisiken "allenfalls statistisch mit dem Geschlecht in Verbindung bringen ließen". Die Lebenserwartung von Versicherten hänge von vielen anderen Faktoren ab.

Einfluss auf Lebenserwartung

So sei etwa die Lebenserwartung stark auch von anderen Faktoren beeinflusst, etwa der Berufstätigkeit, Ernährung, Sport sowie Alkohol- und Drogenkonsum. Das Geschlecht sei dauerhaft und "untrennbar mit der Person verbunden", betonte Kokott. Die Grenzen einer Ungleichbehandlung seien daher besonders eng zu ziehen. Unterschiede zwischen Personen, die sich "lediglich statistisch mit deren Geschlecht in Verbindung bringen ließen", dürften nicht zu unterschiedlicher Behandlung von männlichen und weiblichen Versicherten führen. (Az: C-236/09)

Vom österreichischen Versicherungsverband VVO betonte am Donnerstag die Leiterin der Personenversicherung, Ulrike Braumüller, auf Anfrage zur APA in Wien, es müsse bei einer freiwilligen Versicherung und wegen des Versicherungsprinzips möglich sein, Prämiendifferenzierungen nach Geschlecht vornehmen zu können, wenn versicherungsmathematische Grundlagen diese unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nicht nur der Lebensstil, auch biologische Faktoren seien für die unterschiedliche Lebenserwartung der Menschen ausschlaggebend, "daher müssen sie auch in eine risiko-orientierte Berechnung von Versicherungsprämien einfließen dürfen".

Die deutschen Versicherer werteten das EuGH-Gutachten als "Angriff auf die Grundprinzipien der Versicherungswirtschaft". Folge der EuGH dem Gutachten, "wäre das eine schlechte Nachricht für die Verbraucher", sagte Peter Schwark, Geschäftsführer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die Beiträge würden im Durchschnitt steigen, weil der Geschlechtermix als neues Risiko in die Kalkulation eingehe. Die "Beitragsgerechtigkeit" gehe verloren.

Der EuGH wird abschließend in einigen Monaten entscheiden. Er ist dabei nicht an das Gutachten gebunden, folgt dem aber in den allermeisten Fällen. Hintergrund der anhängigen Causa ist, dass in Belgien ein Verbraucherverband und Privatpersonen gegen die auf der EU-Ausnahmeklausel beruhenden Regelungen vorgehen.

(Quelle: derstandard.at, 01.10.2010)

Zurück