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Eine Lücke von immer bedrohlicherem Ausmaß

Österreich steht am Scheideweg zwischen finanzieller Stabilität und einer Unfinanzierbarkeit des Pensionssystems

Das gesamtstaatliche Budgetdefizit steigt heuer auf 4,7 Prozent des BIPs, im Vorjahr betrug es 3,4 Prozent. Trotz des von der österreichischen Bundesregierung vorgesehenen Budgetpfads, eine Rückführung des gesamtstaatlichen Budgetdefizits auf 2,7 Prozent des BIPs im Jahr 2013 anzustreben, steigen die Gesamtschulden bis dahin auf 74,3 Prozent des BIPs an. So weit, so unerfreulich.

Dramatisch ist aber folgende Zahl: Selbst bei einem ständigen Nulldefizit dauert es bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von zwei Prozent bis 2026, bis die maastrichtkonforme Verschuldensquote von 60 Prozent des BIPs wieder erreicht wird. Erlauben wir uns ein Defizit von nur einem Prozent (für 2013 streben wir 2,7 Prozent an), erreichen wir die 60-Prozent-Vorgabe der EU nicht vor 2064.

Dabei kann die Gesamtverschuldung des Bundes noch halbwegs nachvollziehbar dargestellt werden. Aber auch dort erhöhen ausgelagerte Schulden im Ausmaß von 124,5 Mrd. Euro (ÖBB, Asfinag etc.) in Wahrheit unsere Gesamtschulden beträchtlich. Die Haftungen der Länder und Gemeinden sind ein schwarzes Loch - und wir können nur hoffen, dass Kärntner Konstruktionen wie Hypo Alpe Adria die Ausnahme und nicht die Spitze des Eisberges bilden. In Wirklichkeit tappen wir im Dunkeln, was den Gesamtschuldenstand betrifft.

Demografische Zeitbombe

Mit 36,6 Prozent an den verfügbaren Einkommen der Haushalte ist der Anteil der Transferleistungen bei uns so hoch wie in kei- nem anderen OECD-Land (Durchschnitt: 22 Prozent), und er hat in den vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommen. Seit 1954 ist die Sozialquote von 15,9 auf 28,5 Prozent gestiegen, im gleichen Zeitraum ist die Abgabenquote von 29,5 Prozent auf 43 Prozent gestiegen. Glaubt man den aktuellen EU-Langfristprojektionen, steigen die öffentlichen altersabhängigen Ausgaben - vor allem für Pensionen, Gesundheit und Pflege - demografiebedingt von heute bis 2060 von 25,8 Prozent auf 29 Prozent des BIPs. Die ungünstige budgetäre Ausgangslage und der demografiegetriebene Anstieg der Pensions-, Gesundheits- und Pflegeausgaben führen zu einer finanziellen Nachhaltigkeitslücke, die bedrohliche Ausmaße erreichen könnte. Trotzdem werden seit Jahren Strukturreformen blockiert, und jede Interessengruppe verlangt gebetsmühlenartig Einkommenssteigerungen, die wir uns nicht mehr leisten können.

Bei heutigem Geldwert beträgt die Nachhaltigkeitslücke zwischen acht und elf Mrd. Euro, Finanzierung ungeklärt. Die größten Effizienzpotenziale liegen bei den Ausgaben, denn eine Abgabenerhöhung wäre leistungsfeindlich und wird ohnedies bereits für die Budgetkonsolidierung eingesetzt; schon jetzt fließen knapp 43 Prozent unserer Wirtschaftleistung in Form von Steuern und Abgaben in den öffentlichen Haushalt. Die Verwaltungsreform - sofern sie einmal kommt - kann nur Teile der Nachhaltigkeitslücke schließen. Die Lösung liegt in einer Umgestaltung der sozialen Transfers, um auch zukünftigen Generationen sozial gerechte Sozialleistungen zu sichern.

Unvermeidliche Reform

Dringendster Reformbedarf besteht bei den Invaliditätspensionen und bei der Hacklerregelung (schon der Name ist irreführend, denn eigentlich ist sie mehrheitlich eine "Angestellten- und Beamtenregelung"). Sie ist eine Kostenfalle mit mehr als einer Mrd. Euro Mehrkosten gegenüber 2008 und "zwingt" jeden Erwerbstätigen in die Pension, denn die Nichtinanspruchnahme führt zu finanziellen Verlusten. Gleichzeitig mit der Abschaffung der Hacklerregelung bedarf es rasch einer generellen Umstellung der Pensionsberechnung: Längere Erwerbstätigkeit muss sich finanziell auszahlen, vorzeitiger Pensionsantritt darf nicht von der nächsten Generation finanziert werden. Die berufsrechtlichen Sonderregelungen müssten abgeschafft und die berufliche Rehabilitation ausgebaut werden.

Entscheidend für die nächsten Generationen ist jedoch ein Nachhaltigkeitsmechanismus. Franz Müntefering hat Kritik daran bei der Einführung in Deutschland schlagfertig zurückgewiesen, indem er auf die Beherrschung der vier Grundrechnungsarten im Zusammenhang mit der Steigerung der Lebenserwartung verwies - ein Ausnahmebeispiel für politischen Mut.

Bei aller Komplexität unserer Sozialsysteme reduziert sich im Grunde die nachhaltige Finanzierung unserer Pensionen auf das so erfreuliche Phänomen der längeren Lebenserwartung. Die Pensionsanpassung sollte daher ein Teil des Nachhaltigkeitsfaktors sein, die Reform müsste generationenübergreifend wirken.

Wir könnten damit im Herbst bei der nächsten Pensionsanpassung gleich beginnen. Wichtig ist jedoch, dass es nicht nur zu einem einmaligen Eingriff in die Pensionserhöhung kommt, indem beispielsweise die Pensionsanpassung für ein Jahr ausgesetzt wird, sondern dauerhaft die Steigerung der Lebenserwartung entsprechend berücksichtigt wird, genauso wie dies beim Pensionsantrittsalter und bei der Pensionshöhe notwendig ist. Damit unsere Kinder und Enkel nicht in Schulden untergehen.

(Quelle: Der Standard, Print-Ausgabe, 17.08.2010)

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