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"Die Alten wollen immer alles haben"

Trotz "extremen Kostenanstiegs" hält Winfried Pinggera, Leiter der Pensionsversicherung, das Rentensystem für sicher - wenn die Politik nicht vor den Senioren klein beigibt

STANDARD: Ich bin 36. Wird mir Ihre Anstalt einmal eine Pension auszahlen, von der ich leben kann?

Pinggera: Wenn Sie Beiträge leisten, ja - auch wenn uns das viele junge Menschen nicht glauben. Schon die Generation, die jetzt in Pension geht, hat bereits geklagt, sie bekomme einmal eh keine Pension mehr, und auf der anderen Seite wollen die Alten immer alles haben. Dieses Schwarz-Weiß-Denken macht es nicht leichter.

STANDARD: Es gibt immer mehr und ältere Pensionisten bei immer weniger Erwerbstätigen. Sind da die Zweifel nicht angebracht?

Pinggera: Natürlich ist die Demografie ein Problem, dazu kommen die kurzfristigen Finanzierungssorgen durch die Krise. Der Kostenanstieg ist extrem. Im Vorjahr wuchs der Bundesbeitrag, der aus Steuergeld ins Pensionssystem zugeschossen wird, um 34 Prozent auf 3,5 Milliarden, heuer werden wir bei 4,3 Milliarden liegen. Verschärft wird die Situation durch die Wahlzuckerln. Wegen des leichteren Zugangs ist die Zahl jener, die dank der Hacklerregelung in Frühpension gehen, um ein Drittel gestiegen.

STANDARD: Wie sollen diese Kosten verkraftbar sein?

Pinggera: Indem wir die Hausaufgaben machen. Die Politik muss den Mut aufbringen, das Notwendige zu tun, dann ist das System absolut sicher. Knackpunkt: Wir müssen erreichen, dass die Österreicher nicht nur - wie derzeit die Männer - bis zum Alter von 58,9, sondern im Durchschnitt zumindest bis 62 arbeiten. Dafür muss das Tor der Hacklerregelung zufallen, die Zahl der Invaliditätspensionisten sinken und versucht werden, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu holen. Ein Jahr späterer Pensionantritt bedeutet eine Milliarde weniger Steuergeld fürs System. Ein auf ein, zwei Milliarden Euro gesunkener Zuschuss wäre finanzierbar.

STANDARD: Warum scheuen die Österreicher, länger zu arbeiten?

Pinggera: Die Pension gilt hierzulande als das Ideal der Glückseligkeit, viele Menschen richten ihr Leben von Anfang an danach aus. Da gibt es eine regelrechte Symbiose zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern: Sobald ein Problem am Arbeitsplatz auftritt, halten beide Seiten die Pension für die Lösung. Und so wird zugewartet, bis sich ein Bauarbeiter mit 53 sämtliche Bandscheiben ruiniert hat, statt schon fünf Jahre früher mit der Umschulung zu beginnen. Erst jetzt kommt zäh ein Umdenkprozess in Gang.

STANDARD: Erkaufen wir uns mit den Frühpensionen nicht eine niedrige Arbeitslosigkeit?

Pinggera: Nein. Die Statistik der OECD zeigt: Je stärker die Erwerbsbeteiligung im Alter, desto weniger Jugendarbeitslose. Wenn wir hochqualifizierte Leute mit 58 Jahren in Pension schicken, schwächt das einfach unsere Volkswirtschaft.

STANDARD: Hat die Politik das Problem kapiert?

Pinggera: Ich glaube schon. Nur führt die demografische Entwicklung allmählich zu dem Problem, dass gegen die Bevölkerungsgruppe über 60 nichts mehr geht. In Serbien etwa ist der Chef der Seniorenpartei mittlerweile Vizepremier, was jede Reform unmöglich macht. Die Seniorenvertreter stehen wie eine Mauer, da gibt es keine fraktionellen Differenzen. Das ist harte Klientelpolitik, die sagt: Alles mir und sofort - und die nächsten sollen's zahlen.

STANDARD: Wie hoch darf die heurige Pensionserhöhung ausfallen?

Pinggera: Maximal die Teuerung soll abgegolten werden, wie vom Gesetz vorgesehen. Doch bisher hat die Politik leider fast immer etwas draufgelegt. Die Frage ist: Investieren wir in eine Pensionserhöhung, weil zwei Pensionistenvertreter mehr als die Inflation wollen, oder verwenden wir das Geld für Forschung und Bildung, um jenen eine Chance zu geben, die den ganzen Spaß zahlen sollen? Schon jetzt verlassen pro Jahr 5000 bestqualifizierte Österreicher das Land, weil sie woanders einfach bessere Möglichkeiten sehen. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 6.9.2010)

Winfried Pinggera (43), einst Mitarbeiter im Kabinett von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, galt als einer der Architekten der schwarz-blauen Pensionsreform. Seit Mai 2009 ist er Generaldirektor der Pensionversicherungsanstalt.

(Quelle: derstandard.at, 5. September 2010)

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