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Demografische "Doppelmühle" kostet Staat Milliarden

Neuer Pflegefonds bringt nur Atempause statt Reform

Wien - Die Österreicher werden immer älter, aber nicht unbedingt fitter: Während die Zahl der 60- bis 80-Jährigen seit 2000 um elf Prozent stieg, wuchs jene der Pflegegeldbezieher im gleichen Alter sogar um 18 Prozent. Weil überdies geburtenstarke Generationen in die Jahre kämen, in der Altersgruppe der potenziellen Pfleger aber der Pillenknick greife, warnt Hilfswerk-Präsident Othmar Karas vor einer "demografischen Doppelmühle": Bisherige "Worst-Case-Szenarien" könnten glatt übertroffen werden.

Dabei hatten Koalitionspolitiker eben noch einen "Meilenstein" bejubelt: Über einen Pflegefonds will die Regierung 685 Millionen Euro zusätzlich in die Betreuung der Alten pumpen - zwei Drittel zahlt der Bund, den Rest Länder und Gemeinden. Doch die Finanzspritze deckt gerade einmal die steigenden Kosten für vier Jahre ab. Bis 2020 weisen Prognosen wegen der Alterung einen Mehrbedarf von fünf Milliarden aus.

Statt derzeit 3,8 Milliarden wird der Staat dann insgesamt um eine Milliarde mehr pro Jahr für Pflege ausgeben müssen - was vor allem Länder und Gemeinden in die Bredouille bringt. Der Bund zahlt zwar 363. 000 Bedürftigen Pflegegeld, doch dieses hat seit 1993 wegen der Inflation ein Fünftel des Werts eingebüßt und reicht bei weitem nicht aus, um die nötige Betreuung am Markt zu kaufen. Die wachsende Lücke schließen die Länder, indem sie Leistungen vom Pflegeheim bis zur mobilen Betreuung finanzieren.

Über die Frage, wie der Staat das künftig bezahlt, soll sich ab nächstem Jahr eine von der Regierung eingesetzte Arbeitsgruppe den Kopf zerbrechen. Möglich wäre eine klassische Versicherung mit Beiträgen - oder ein permanenter, aus Steuergeld gespeister Pflegefonds, wie ihn Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) bevorzugt. Caritas-Generalsekretär Alexander Bodmann hält eine allgemeine Erbschaftssteuer für die ideale Quelle: Derzeit zahlten unfairerweise nur Pflegebedürftige eine derartige Steuer - dann aber in der Höhe von bis zu 100 Prozent.

Worauf Bodmann anspielt: Die Länder holen sich einen Teil ihrer Ausgaben zurück. Heimbewohner müssen ihr Sparbuch plündern, Klienten temporärer Dienste berappen Selbstbehalte in unterschiedlicher Höhe. Laut Berechnungen des ÖVP-Abgeordneten Oswald Klikovits zahlt ein burgenländischer Pflegefall der Stufe 3 für Krankenschwester und Heimhilfe mehr als das Vierfache - 783 statt 163 Euro - wie ein Oberösterreicher. Die Steiermark will künftig sogar wieder Kinder, Eltern, Ehepartner und Großeltern von Betroffenen zur Kasse bitten.

Auch Qualität und Vielfalt variieren. So bieten Wien oder Vorarlberg ein größeres Ausmaß an mobiler Betreuung, dank dieser Patienten zu Hause leben können, als etwa Oberösterreich oder die Steiermark. "Es gibt immer noch Menschen, die ins Heim müssen, weil Alternativen fehlen", sagt Bodmann.

Noch einen Mangel prangern die Hilfsorganisationen an: Laut Sozialministerium braucht das Land in zehn Jahren 13.000 zusätzliche Pflegekräfte, doch schon jetzt ist Personal rar. Hilfswerk-Geschäftführer Walter Marschitz fordert deshalb eine Reform des "völlig veralteten Ausbildungssystems", das junge Menschen erst ab dem Alter von 17 ausbilde und keine Matura, ergo keine Perspektive, biete: "Viele potenzielle Kräfte gehen verloren. Doch die Politik bringt nichts weiter, weil sich niemand zuständig fühlt."

Dabei droht in Zeiten, in denen sich Familien in alle Himmelsrichtungen zerstreuen, das wichtigste Reservoir an Betreuern zu schrumpfen: Fast zwei Drittel der Pflegearbeit wird in Österreich von Angehörigen erledigt. Noch.

(Quelle: DER STANDARD; Printausgabe, 12.4.2011)

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