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Aufstand gegen Pflegegeld-Eingriff

Behindertenanwalt Buchinger warnt Nachfolger Sozialminister Hundstorfer: Keine „Geldbeschaffungsaktion“ durch Einsparungen für neue Bezieher. Die Regelung betrifft die Pflegegeld-Stufen I und II.

Ein großer Teil der künftigen Bezieher von Pflegegeld muss sich darauf einstellen, dass für sie der Zugang zu dieser Sozialleistung erschwert wird. Eine Abschaffung ist zwar nicht vorgesehen, auch bisherige Bezieher von Pflegegeld sind nicht betroffen. Die Regelung käme aber für Personen, die künftig Pflegegeld in den beiden niedrigsten Stufen I und II (154,20 Euro bzw. 284,20 Euro im Monat) beziehen, zum Tragen. Pläne dazu wurden vom Sozial- dem Finanzministerium übermittelt. Mögliches Sparvolumen: ein zweistelliger Millionenbetrag.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) kann damit zwar seine Zusage von Mitte September einlösen, dass sich am bestehenden System mit insgesamt sieben Stufen je nach dem Ausmaß der notwendigen Betreuung nichts ändert. Hundstorfers Vorgänger als Minister, der jetzige Bundesbehindertenanwalt Erwin Buchinger, wendet sich im Gespräch mit der „Presse“ jedoch auch gegen Sparpläne für neue Bezieher von Pflegegeld: In seiner Funktion werde er täglich damit konfrontiert, wie notwendig dieses Pflegegeld für ein selbstbestimmtes Leben der betroffenen Menschen sei. Deswegen könne er „Einsparungen als Geldbeschaffungsinstrument nur entschieden ablehnen“.

Damit nicht genug. Er werde das Gespräch mit dem Sozialminister suchen. Buchinger richtet schon jetzt die „dringende Bitte“ an die Politiker, die Behinderten frühzeitig in die Beratungen einzubeziehen und „nicht über deren Köpfe hinweg“ Entscheidungen zu treffen. Das sehe auch die UN-Konvention über die Rechte für Menschen mit Behinderungen vor.

Sozialminister bestätigt Reformpläne

Im Rechnungshofausschuss des Parlaments bestätigte der Sozialminister am Nachmittag dann selbst, man überlege für künftige Anträge die Einführung neuer Kriterien. Sonst bekräftigten Hundstorfer und die SPÖ lediglich, die sieben Pflegestufen blieben erhalten. Zum Handkuss kämen nach den Sparplänen neue Antragssteller. Der Grund dafür: Bisherige Bezieher von Pflegegeld haben einen Bescheid in Händen, der nicht einfach aufgehoben werden kann. Das ist auch der Grund, warum beispielsweise eine Zusammenlegung von Pflegestufen – das war eine der ebenfalls überlegten Varianten – kaum möglich ist. Derzeit erhalten 366.261 Menschen in Österreich Pflegegeld (siehe Grafik), die Zahl nimmt stetig zu. Der Bund wendet derzeit knapp zwei Milliarden Euro für das Pflegegeld auf.

Behörden-Dickicht schafft Probleme

Die Einschränkung des Zugangs würde erfolgen, indem die Grenze für den notwendigen Betreuungsbedarf hinaufgeschraubt wird. Derzeit liegt dieser bei 50 Stunden pro Monat als Voraussetzung für die Pflegestufe I und bei 75 Stunden pro Monat für die Pflegstufe II. Die Eingriffe bei diesen beiden Stufen sind am brisantesten, weil derzeit insgesamt mehr als die Hälfte der Bezieher in diese Kategorien fallen (siehe Grafik). Damit wäre auch der Spareffekt am größten.

Buchinger regt selbst Einsparungen an, bei denen aber nicht die Leistungen für Betroffene eingeschränkt würden. Vom Rechnungshof ist im RH-Ausschuss nochmals die völlige Zersplitterung beim Pflegegeld-Vollzug zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen kritisiert worden. Wenn man das bündle, seien Einsparungen möglich. „Das wird nicht angegangen“, so Buchinger.

Gegen Einschränkungen beim Pflegegeld gibt es auch Bedenken der Gemeinden. Diese fürchten, dass viele ältere Menschen, deren Pension derzeit mit dem Pflegegeld aufgefettet wird, ohne diese Zahlungen in Pflegeheimen landen.

Das Sozialministerium ist bemüht, zumindest einen massiven Kritikpunkt bezüglich der Einstufung für Pflegegeld auszuräumen. Bei dieser gab es in der Vergangenheit nicht nachvollziehbare Unterschiede zwischen Bundesländern und Regionen. Seit Anfang Oktober läuft in fünf Bundesländern ein Pilotprojekt, in dem neben einem Arzt auch Pflegepersonal bei der Einstufung herangezogen wird.

(Quelle: "Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2010)

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